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Der Trofeo Spirit

Wenn im Frühsommer die Morgensonne über den sanften Hügeln des Bliesgaus zum Vorschein kommt, erwacht eine besondere Spannung im Saarland: Seit 1988 richtet sich das internationale Rampenlicht des Junioren-Radsports alljährlich auf die Trofeo Karlsberg, heute bekannt als LVM Saarland Trofeo. Was einst als kleiner Hoffnungsträger des Bund Deutscher Radfahrer begann, hat sich über kaum vorstellbare Wegstrecken zu einer der renommiertesten Nachwuchs-Rundfahrten Europas entwickelt. Mehr als nur ein Rennen, ist die Trofeo eine gelebte Chronik deutsch-französischer Freundschaft, ein Motor für lokale Wirtschaft und Tourismus, und eine Bestätigung, dass die Schweiz des Nordens – das Saarland – zu den heimlichen Kraftzentren des internationalen Radsports gehört.

Alles begann 1988, als Gerd Hufschmidt, frisch ernannter Bundesjugendleiter im BDR, die Idee verwirklichte, aus dem damals populären Saarland-Tag im Saarpfalz-Kreis ein qualitätsvolles Juniorenrennen zu formen. Mit im Boot war die Homburger Karlsberg Brauerei, deren Name den neuen Wettbewerb gebührend zierte: Trofeo Karlsberg, eine Verbindung aus italienischem Wort für „Trophäe“ und dem regionalen Champion als Hauptsponsor. Keine lange Esse: Nach nur wenigen Stunden hatte der Jugoslawe Roman Judèz über 105 Kilometer hinweg das gelbe Siegertrikot errungen, während Fans im noch jungen Europäischen Kulturpark Bliesbruck-Reinheim den Auftakt eines Projekts feierten, das sich bald in den Kinderschuhen des internationalen Radsports behaupten sollte.

Bereits 1989 wuchs die Trofeo über sich hinaus – aus dem kleinen Tagesrennen wurde ein zweitägiges Etappenrennen. 16 Teams aus acht Nationen traten an, absolvierten neben einem 17 Kilometer langen Mannschaftszeitfahren erstmals auch eine Gesamtwertung, die mit Bob Julich (USA) einen späteren Tour-de-France-Podestfahrer als Sieger sah. Die Rennstrecke führte nun auch über die Freundschaftsbrücke in Habkirchen, ein Symbol für den Geist, der fortan unverrückbar mit der Veranstaltung verbunden sein sollte: das Überwinden von Grenzen, sowohl geographisch als auch sportlich.

Im Jahr darauf – 1990 – ließen die Mannschaften der DDR ihre Klasse aufblitzen. Volker Marquardt stieg als Erster aufs Podium, gefolgt von Heiko Siegmund und Ralf Grabsch, während DDR I die Mannschaftswertung dominierte. Die Anzahl der Teilnehmer wuchs auf 112 Fahrer aus 13 Nationen, und erstmals wurde Saargemünd (französisch: Sarreguemines) als Etappenort einbezogen. Eine vertraute Szene: Im Zielraum jubelten deutsche und französische Zuschauer gleichermaßen, während Fabian Hannich als erster deutscher Straßenfahrersieger die Grenzregion in neue Farben tauchte.

1991 dann folgte der große Schritt zu einem dreitägigen Format. Im Industriegebiet von Blieskastel gewann der Däne Bekim Christiansen das Auftaktkriterium, während Roger Smeets aus den Niederlanden das 143-Kilometer-Straßenrennen entschied. Damals sah man schon den jungen Jan Ullrich, der sich auf Platz 28 vorkämpfte: Ein leiser Vorbote seiner kommenden Weltkarriere. Aus 120 Startern aus 13 Ländern ordnete sich in dieser Trofeo erstmals ein Fahrervolk, das auf schnellstem Weg die internationalen Ergebnisse dominieren sollte.

Mit 1992 erlangte die Trofeo endgültig UCI-Status und rückte in den Weltradsportkalender. 29 Teams aus zwölf Nationen meldeten sich, und wer in den Vereinsfarben von BDR I unterwegs war – Nick Feid (USA), Martin Müller, Stefan Gogoll, Josef Springer und Torsten Burkart – räumte die Einzelwertungen ab, während BDR I auf der Straße die Mannschaftswertung gewann. Die damalige Europaabgeordnete Doris Pack, Schirmherrin des Events, lobte die Bedeutung solcher Begegnungen für das Zusammenwachsen Europas.

1993 war ein weiterer Meilenstein: 120 Fahrer aus 30 Mannschaften nahmen die 260 Kilometer in nur 72 Stunden in Angriff – eine frühe Generalprobe für kopfsteinpflaster­durchsetztes Terrain, urbane Ringschlachten und lange Flachetappen. Jerome Klein (Team Bayern) wurde Sieger, doch das BDR-Straßenteam mit Patrick Köhler, Andreas Klier, Jan Bratkowski und Jean-Paul Fürus bewies: Wer hier vorne mitfährt, schreitet rasch ins Profilager.

1994 verlieh die UCI der Trofeo den Weltcup-Status. Fortan kooperierten Gemeinde Gersheim, Stadt Blieskastel, Sprinter-Club, Saargemünd und Radsportverein „Bliestal“ in einem Förderverein, der die organisatorische Basis für die immer anspruchsvolleren Etappen bot. In diesem Jahr trennten in einer engen Endabrechnung Andreas Klier und Ronny Lauke nur Sekundenbruchteile voneinander, und mit Teams wie BDR-Straße wurde bereits das Rennen von „oben“ – also aus dem Bund Deutscher Radfahrer – gesteuert.

1995 zog Mandelbachtal als weiterer Partner ein, und erstmals ließ eine kombinierte Saarländische Polizei–Gendarmerie-Eskorte das Peloton feierlich ziehen. Holger Loew (Deutschland Straße) feierte im Einzelzeitfahren seinen ersten Triumph, um im Folgejahr Junioren-Weltmeister zu werden – ein eindrucksvoller Beweis dafür, welche Sprungbrettwirkung die Trofeo schon damals hatte.

Mit den späten 1990er-Jahren kam der Osten Europas ins Rollen: 1996 beherrschte das russische Nationalteam mit Serguei Tschoulkov, Dmitri Dementiev, Denis Bondarenko und Dmitri Gainitdinov das Feld, und 1997 standen erneut Deutsche wie Sandro Schynoll in der Spitzengruppe. Manuel Quinzato (Italien) holte sich die Königsetappe über 132 Kilometer, bis Robert Kaiser (Deutschland Bahn) im Gesamtklassement die Haare noch zwei winzige Sekunden vor dem Herausforderer behielt.

1998 bot das Rennen über 396 Kilometer durch das Blies- und Mandelbachtal die Bühne für Anthony Geslin (Frankreich) vor Björn Schröder und Mark Schneider (beide Deutschland Straße) und leitete mit Timo Reichert eine Generation auf, die sich in den Folgejahren in die Weltelite einschreiben sollte.

1999 festigte Stephen Cummings (England) ebenso seinen Namen wie der schwedische Junior Jonas Holmkvist oder Petter Renäng, der das Einzelzeitfahren für sich entschied. Während die USA, Deutschland und die Niederlande um den Gesamtsieg rangen, blieb der Gedanke des Nachwuchsförderns fest in den Köpfen der Organisatoren verankert.

Im Jahr 2000 wurde in Saarbrücken gestartet, und mit Marcel Sieberg (Deutschland) sowie Markus Burghardt (Sprintwertung) bewies die deutsche Nationalmannschaft, dass sie ihr Heimspiel ernster nahm als jede Trainingsrunde. Nur Andri Lebedev (Estland), der sich zum Bergkönig kürte, konnte den deutschen Doppelerfolg in der Mannschaftswertung verhindern – doch die Blüte junger Talente war längst nicht mehr zu übersehen.

Mit der 14. Auflage 2001 bewiesen über 1 000 Helfer, dass auch sintflutartiger Regen die Trofeo nicht zu bremsen vermochte. Markus Burghardt, mittlerweile erfahrener Junior, wiederholte seinen Triumph und festigte das Image der Trofeo als Ort, an dem Kontinuität und Qualität Hand in Hand gehen.

2002 sorgte ein unerwartetes Intermezzo für Funkrufe im Fahrerlager: Eine Kuhherde querte bei Gersheim unbeeindruckt die Strecke, bis die Gendarmerie eingriff. Neben Anekdoten dieser Art beeindruckte die sportliche Leistung: Sebastian Paddags errang einen Tages­sieg für das deutsche Straßenteam, während Felix Odebrecht (Deutschland) das gelbe Trikot als Gesamt­sieger überstreifte.

2003 schließlich gewann Anton Reshetnikov (Russland) ein turbulentes Finale bei wechselndem Wetter – ein Sinnbild jener Generation junger Russen, die in den folgenden Jahren viele Etappenfahrten dominieren sollte.

Im Folgejahr 2004 zählte die Trofeo 25 Mannschaften aus 14 Nationen und 415 Kilometer pure Härte: Anders Berendt Hansen (Dänemark) setzte sich gegen starke internationale Konkurrenz durch, während der Berliner Sebastian Hans als Bergspezialist zahlreiche Blicke auf sich zog.

2005 schließlich feierte Großrosseln seine Premierenrolle, und mit Gatis Smukulis (Lettland) stand zum ersten Mal ein Letten im gelben Trikot der Trofeo Karlsberg. Auch Österreichs Junior Stefan Denifl feierte mit Platz zwei einen Achtungserfolg, während Florian Frohn als bester Deutscher Rang drei belegte. Sporadisch funkelten die Namen, die bald Teil der Profiliga werden sollten.

Mitte des Jahrzehnts, als Marcel Kittel und Oliver Giesecke 2006 die Junioren-Rundfahrt in deutsche Hände legten, war klar: Wer in diesem Rennen brilliert, nimmt morgen die großen Boulevards in Angriff. Kittel sicherte sich das Zeitfahren und ebnete Giesecke am Sonntag mit der Königsetappe den Weg zum Gesamtsieg – eine Präzision, die typisch für die Athleten wurde, die im Bliesgau zum ersten Mal internationale Garde-Erfahrungen sammelten.

2007 schließlich durfte Österreich sich freuen: Matthias Brändle gewann – als erster Österreicher überhaupt – die Trofeo Karlsberg und bewies, dass es nicht immer Frankreich oder Deutschland sein mussten, die den Vortritt bekamen. Dominik Nerz (Deutschland) verpasste den Gesamtsieg nur um Sekunden, während der junge Saarländer Michael Hümbert beim Heimpublikum für starken Lokalstolz sorgte.

2008 war Michael Kwiatkowski (Polen) kaum zu schlagen: Mit über 37 Sekunden Vorsprung und einer minutiösen Leistung rund um Gersheim demonstrierte der spätere Weltmeister, wie eng Junioren-Erfolge in Saarland und große Titel auf Weltniveau verknüpft sind. Noch heute spricht man vom Sturz des US-Amerikaners Nathan Brown in Medelsheim, der für einen Schockmoment sorgte, und von den packenden Duellen von Peter Sagan, Tosh van der Sande und Emil Hovmand, die später als Klassikerhelden in der Profi-Welt für Furore sorgten.

Einlick nach 2009 und 2010 zeigt, wie aus der Trofeo eine Talentschmiede wuchs, in der Fahrer wie Emil Hovmand (Dänemark) oder der Amerikaner Lawson Craddock ihre ersten internationalen Lorbeeren ernteten. Jasha Sütterlin (Deutschland) beendete 2010 die Rundfahrt als drittbester Fahrer, während Craddock als herausragende Persönlichkeit des Rennens in Riesweiler glänzte. Das Thermometer stieg in Gersheim auf über 30 Grad, doch die Hitze konnte den Ehrgeiz der jungen Profis nicht hemmen.

In den Jahren um 2017 und 2018 stand die Trofeo vor einer entscheidenden Weichenstellung: Nach 29 erfolgreichen Jahren beendete die Karlsberg Brauerei ihre Titelpartnerschaft. Kurzfristig fand sich kein Ersatz, also trug das Rennen 2017 den Namen „Trofeo der Gemeinde Gersheim“ und bewies, dass seine wahre Kraft in der Gemeinschaft liegt. Bereits ein Jahr später wurde die Veranstaltung offiziell zur „Saarland Trofeo“ in der Trägerschaft des Saarländischen Innenministeriums, des Saarpfalz-Kreises und der beteiligten Städte Homburg, Blieskastel, Gersheim und Mandelbachtal erhoben. Mit neuem Namen und bewährter Qualität hatte sich die Trofeo längst als Aushängeschild der Nachwuchsförderung etabliert.

Heute, als LVM Saarland Trofeo, ist sie die einzige deutsche Station im UCI Junior Nations’ Cup und stellt Jahr für Jahr 150 U-19-Talente aus mehr als 25 Nationen vor die Herausforderung von fünf anspruchsvollen Etappen. Die Strecke, die ehemals 105 Kilometer – heute 430 bis 450 Kilometer – lang ist, verknüpft pittoreske Weinberge und historische Weiler, windanfällige Hochflächen und enge Ortsdurchfahrten, während jedes Gefälle und jeder Anstieg zum Taktstock eines Orchesters der Leidenschaften wird. Von der Eröffnungszeremonie in Elversberg über den Staffellauf durch Blieskastel und Großrosseln bis zur Zielankunft im historischen Stadtkern von Blieskastel erleben die jungen Fahrer, wie es sich anfühlt, eine echte Etappenfahrt zu bestreiten – inklusive Kopfsteinpflaster-Solos in den kleinen Dörfern Lothringens und dem symbolischen Grenzübertritt, der die europäische Gemeinschaft in jeder Pedalumdrehung sichtbar macht.

Dass die LVM Saarland Trofeo als zuverlässige Talentschmiede gilt, ist längst kein Geheimnis mehr: Namen wie Jan Ullrich, Peter Sagan, Mads Pedersen, Dylan van Baarle oder Brandon McNulty ranken sich um dieses Rennen wie kostbare Perlen an einer Kette, die jede Saison um neue Legenden erweitert wird. Wer hier das grüne Trikot des Gesamtführenden in Empfang nimmt, darf träumen, dass Paris, Flandern oder der Champs-Élysées-Pavé nur wenige Jahre entfernt sind. Denn seit dem ersten Sieg von Roman Judèz 1988 haben sich die Anforderungen kontinuierlich gesteigert, und jede Trofeo-Generation hat bewiesen, dass sie bereit ist, sich auf internationalem Parkett zu messen.

Für das Saarland ist dieses Event ein Wirtschafts- und Werbeschlag zugleich: Vier Tage lang füllen zehntausende Radsportfans Hotels, Gaststätten und Weinlokale in Homburg, Blieskastel, Gersheim oder Mandelbachtal. Rund 600 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer aus Deutschland und Frankreich sichern die Strecke, versorgen die Fahrer und machen die Veranstaltung zu einem generationsübergreifenden Volksfest. Winzer veranstalten Verkostungen direkt neben dem Zielbogen, Metzger und Bäcker laden zu regionaltypischen Spezialitäten, und das Biosphärenreservat Bliesgau nutzt den Ansturm, um nachhaltige Radtourismuskonzepte vorzustellen. In den Schlagzeilen des Saarländischen Rundfunks spiegelt sich die Begeisterung, während Social-Media-Kanäle täglich in gestochen scharfen Bildern von Stürzen, Ausreißergruppen und packenden Zielsprints erzählen.

Doch die LVM Saarland Trofeo ist nicht nur ein Fest für Fans und Partner, sie ist vor allem das Versprechen: Hier schreibt sich Zukunft in die Annalen des Radsports. Junge Athleten erleben hier ihre ersten internationalen Vergleiche, verschwitzen ihre Millionen an Träumen auf saarländischen Hügeln und tragen die Liebe zum Radsport zurück in ihre Heimatländer. Die Wechselwirkung aus hochkarätiger sportlicher Herausforderung, regionaler Identifikation und grenzüberschreitendem Miteinander macht die Trofeo zu einem unverzichtbaren Baustein im europäischen Radrennkalender.

Wenn in wenigen Jahren wieder die Startflagge auf Elversbergs Arena-Festwiese fällt und die U-19-Profis von morgen über Homburgs Hochflächen rauschen, ist es gewiss: Die LVM Saarland Trofeo bleibt eine Talentschmiede, die von Generation zu Generation weitergegeben wird – ein grandioses Panoptikum des aufstrebenden Radsports, getragen von einer Gemeinschaft, die längst zu einer einzigen Rennfamilie verschmolzen ist.

  • 27. Juni 2016